Das Yoga des Christus - Kapitel 1

(Leseprobe 07)

Wir denken, dass wir das Problem gelöst haben, indem wir einem Bettler eine Münze geben. Wir nennen es eine Wohltätigkeit, deshalb fühlen wir uns wichtig, fühlen wir uns edel. Aber ist es edel? Sind wir nicht alle verantwortlich für eine Gesellschaft, die diese Tragödie menschlichen Verschleißes zulässt?
Wir sehen die Alten, die Blinden, die Verkrüppelten, die Kranken, wir sehen den verabscheuenswerten Zustand außerhalb dieser majestätischen, steinernen Gebäude, die im Inneren mit Reichtümern vollgestopft sind. Dennoch wird von den Lebenden erwartet, dass sie in ihrer himmelschreienden Misere verrotten und sterben. Ja, wir stehen gebrandmarkt, noch immer ohne Scham in Anbetracht unserer eigenen miserablen Taten, während die organisierte Religion es versäumt, den Kopf zu erheben, denn sie gehört zur Gesellschaft, die für diese Zustände verantwortlich ist.
Ja, Lhasa ist eine Stadt der Bettler, des Schmutzes und

Murdo MacDonald-Bayne: Das Yoga des Christus

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3. Auflage Nov. 2014, Softcover, A5, 204 Seiten, ISBN 978-3-943313-22-2 

Buch, 204 Seiten

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der Intrigen. Die hygienischen Zustände sind unvorstellbar, Männer und Frauen hocken sich wie die Hunde auf die Straße. Es ist allein das kalte Klima, das Epidemien verhindert. Tote Hunde liegen auf der Fahrbahn, andere sind so abgemagert, dass sie mit ihren Wunden am ganzen Körper kaum laufen können. Hätte ich damals ein Gewehr bei mir getragen, dann hätte ich diese armen, elenden Tiere vermutlich erschießen wollen, um sie von ihrem Elend zu erlösen. Die Lebenden fressen die Toten, weil sie nichts Anderes finden. Ein Wurf Welpen wird von einer abgemagerten Hündin geboren, die selbst kaum kriechen kann. Es ist ein miserabler Anblick, so etwas im Zentrum eines großen religiösen Ortes zu beobachten. Die Missachtung allen möglichen, selbst menschlichen Lebens, ist unbeschreiblich.
Tibeter sind dazu bereit, jede Menge Zeit und Geld für ihre „tote“ Religion zu opfern, aber haben wenig bis gar kein Interesse für die lebendigen Dinge um sie herum; selbst an der primitivsten Hygiene mangelt es bitter. Wir sehen großartige Gebäude, Tempel mit goldenen Dächern etc., errichtet über den toten Körpern verstorbener Dalai Lamas, doch mangelt es an der geringsten, selbstverständlichen Güte. Wo ist da die Liebe in irgendeiner dieser Religionen? Es gibt keine! Nicht einmal in der besten, sie sind kaltes Dogma, ohne Liebe und Leben in sich.
Die meisten Geschäfte, die an sich Buden sind, werden von Frauen geführt. Tatsächlich hält man sie für bessere Geschäftsleute als die Männer. Wir kamen zum Postamt, wo wir einen Lama fanden, der Englisch sprach. Er war in Indien ausgebildet worden. Ich gab einen Brief nach Johannesburg an einen meiner großartigen Freunde auf, Dan Wanberg (der nun von diesem Erdenleben geschieden ist) – seine Frau Teddy besitzt jenen Brief noch immer, den sie als einen ihrer liebsten Schätze bezeichnet. [...] (mehr)