Jenseits des Himalaya - Kapitel 1

(Leseprobe 08)


Wenn man mich mit einem Vorschlaghammer geschlagen hätte, wäre ich wohl kaum benommener gewesen. Dann hörte ich ihn sagen:
„Ich werde dich morgen sehen, mein Sohn, und für deine Reise wird alles arrangiert. Für alles wird gesorgt.“
Dann drehte er sich um, ging den Pfad hinunter und ließ mich vollkommen leer zurück – das ist es, was ich war, leer!
Ich dachte gründlich über das nach, was er mit jenen wenigen Worten gesagt hatte, und es veränderte mich vollkommen. Ich konnte nun erkennen, dass alles, was ich besessen hatte, ein Produkt meiner Denkweise gewesen war. Ich hatte das Größte in meinem Leben verpasst – die lebendige Gegenwart. Was ich besaß, waren bloß Worte, Ideen und Bilder. Was für ein Narr ich all die Jahre gewesen war!
Und wie dankbar ich für diese wenigen Worte war! Ich wusste, dass ich letztlich finden würde, wonach ich suchte.

Murdo MacDonald-Bayne: Jenseits des Himalaya

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3. Auflage April 2014

Softcover, A5 

212 Seiten

ISBN 978-3-943313-88-8

Buch, 210 Seiten, Jenseits des Himalaya

28,00 €

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  • Lieferzeit: circa 14 Tage

Am folgenden Tag kam er zeitig mit einem zufriedenen Lächeln zu mir und sagte:
„Mein Sohn, wie ich sehen kann, hast du deine erste Lektion jener Wahrheit erfahren, die die Menschen befreit. Du warst gebunden, doch nun sehe ich, dass du begonnen hast dich zu befreien.“
„Aber“, sagte ich, „du hast es getan!“
„Oh, nein“, sagte er, „meine Worte hätten es nicht tun können, wenn du nicht bereit gewesen wärest sie zu empfangen.“
Dann sagte er: „Du wirst diesen Ort heute in einer Woche mit dem Eintreffen deines Reisepasses verlassen. Ich möchte, dass du durch den Dschungel gehst und dann weiter entlang des Flusses Teesta durch Sikkim bis nach Gangtok; ich will, dass du auch den Urwald kennenlernst. Von Gangtok aus wirst du den Natula Pass nach Yatung nehmen, der ersten Stadt in Tibet. Dann wirst du weitere Anweisungen von mir erhalten.“
Diese Woche in Kalimpong verbrachte ich sehr glücklich und ich empfand eine freudige Vorausahnung. Nur noch einmal sollte ich ihn vor meinem Aufbruch sehen und ich war entschlossen, ihm eine Frage zu stellen.
Ich fragte ihn: „Es war für mich immer schwierig zu meditieren und ich habe herausgefunden, dass es anderen auch so geht. Kannst du mir in irgendeiner Art sagen, wie ich meditieren sollte?“
Er sagte: „Das Wie ist ein komplexes Problem. Irgendeinem System zu folgen, sei es östlich oder westlich, ist keine Meditation. Folgst du einem System, dann formst du dein Denken bezüglich eines jeweiligen Musters, und das ist es, was du vermeiden willst.“
Ich sagte: „Ich weiß, dass es eine Menge Unsinn gibt, der von Menschen gelehrt wird, die wenig oder gar nichts vom Meditieren wissen.“
„Ja, mein Sohn“, sagte er. „Das ist wahr, nur allzu wahr, und du bist einer von denen, die versucht haben diesen Unsinn zu lehren.“
Seine Bemerkung verletzte mich nicht, weil ich wusste, wie zutreffend sie war.
Dann sagte er: „Wenn du deine Denkweise konditionierst, kannst du nicht frei sein; die Meditation muss zur Freiheit führen, denn nur der freie Geist kann die Wahrheit enthüllen. Wenn du die Arbeitsweise deines Denkens verstehst, was dir in den vor uns liegenden Monaten gelingen wird, wirst du größere Freiheit gewinnen.“
(Monate? Ich war erstaunt, dass er von Monaten sprach! Aber tatsächlich dauerte es viele Monate bis ich fortging, und ich hätte jenseits des Himalaya viele weitere Monate bleiben können.)
Während ich nachdachte, schien er inne zu halten und meinen Gedanken zu lauschen, und mit einem Mal realisierte ich, dass er sie kannte.
Er lächelte und sagte: „Es kann keine Freiheit durch die Bewältigung irgendeines Systems geben, denn das würde dich bloß noch fester binden als du es ohnehin schon warst. Eine wahre Meditation heißt, das zu enthüllen, was jenseits des Denkens liegt. Ein bestimmtes System hindert dich am Verstehen, denn es ist bloß eine Selbst-Hypnose, die bindend und zerstörend ist.“
Dann schwieg er, derweil ich begann meine Gedanken neu zu ordnen. Ich ergriff als erster das Wort, ich sagte:
„Die Sache wird mir langsam klarer.“ [...] (mehr)