Was sonst noch geschah, Teil 2


Ein Hausboot am alten Grenzübergang Kupfermühle
Ein Hausboot am alten Grenzübergang Kupfermühle

H. sprach mich in der ansonsten wunderschönen Flensburger Fußgängerzone an und bat mich um eine Zigarette. Es war ein kalter Tag im Spätherbst, nasskalt - kriechkalt, wie man hier treffend sagt, wenn einem die Kälte durch jede Kleidungsöffnung zu Leibe rückt. Offensichtlich fror er. Wir kamen ins Gespräch, das erste Mal seit Jahren da wir einender stets freundlich nickend nur gegrüßt hatten, wie es hier Sitte ist unter jenen, die miteinander die Stadt teilen. An jenem trostlosen, kriechkalten Sonntag sah ich in den Augen dieses stadtbekannten Lebenskünstlers ein Feuer. Obwohl er fror, wurde mir warm, warm ums Herz, auch wenn er mir auf meine Nachfrage erzählte, wie es ihm wirklich geht, wie er wohnt und dass kurz nacheinander zwei seiner besten Freunde gestorben waren. "Aber ich muss mich jetzt wieder bewegen", sagte er und machte sich wieder an seine Jonglage. "Aber das Buch, von dem du mir erzählt hast, würde ich gern kaufen", sagte er, wobei die Keulen in der Luft vor der Sparkasse wirbelten. Nein, Internet habe er nicht, lachte er, derzeit habe er nicht einmal Strom in seiner Bude, aber er komme mit Kerzenlicht klar.

Das Flensburger Wetter ist oft unerbittlich und kommt selten aus dem Osten - dann ist der Himmel klar. Ich erinnere mich nicht, aus welcher Himmelrichtung das Wetter am darauffolgenden Sonntag kam, aber H. stand wieder in der Fußgängerzone und war noch immer nicht wärmer bekleidet. Ich hatte mir tags zuvor second hand eine schneeweiße Jacke gekauft, die ich schon beim Auspacken zu Hause an einer frisch gestrichenen Tür eingesaut hatte. Ich bat H. er möge sich nicht beleidigt und zu nichts verpflichtet fühlen, als ich ihm etwa eine Stunde später die Jacke, eine Apfelsine, eine Kerze und das Buch in einer Tüte übergab. Er bestand darauf, das Buch zu bezahlen und ich beharrte auf meinem Standpunkt, dass er es nur bei mir abstottern dürfe. Jedes Mal wenn wir uns sähen, sollte er mir einen kleinen Betrag geben. Was er mir schließlich gab, war bei Weitem mehr!

Ich hatte nach dieser Begebenheit, die für mich abgeschlossen war, sehr viel um die Ohren und es war gar nicht daran zu denken, sich den Luxus eines Fußgängerzonenbummels zu gönnen. Als ich ihn eines Tages wiedersah, strahlten seine feurigen Augen und er erzählte mir detailliert aus dem Buch, das ich ihm geleased hatte, von den Dingen, die er immer schon empfunden hätte und nun mit einem Mal in einem Buch fand, von der Levitation, den Kunststücken der Mönche, aber im Besonderen vom Einsiedler von Ling-Shi-La ...

Es ist ein ungeheuer seltsames Gefühl, wenn man als Übersetzer in denselben Worten und mit Begeisterung etwas erzählt bekommt, wofür man sich wirklich Mühe gegeben hat! ... wir saßen eine Weile miteinander auf einer Bank, wieder vor jener Sparkasse und ich war reich beschenkt. Über Wochen und Monate danach erzählte mir H. immer wieder, wie sehr ihn das Buch ermutigt hätte, seine Träume zu leben und dass er sich nach Spanien aufmachen wolle. Nach und nach stotterte er sein Buch ab und zeigte mir schließlich sein Fahrrad mit dem Anhänger. Dann verabschiedete er sich und versprach, sich eines Tages wieder zu melden.

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